Annika Rees (Mitte) arbeitet in ihrem Bundesfreiwilligendienst im Tafelladen Singen. Die Nachfrage ist groß, doch unangenehmes Gedränge gibt es nicht. Die Besucher stehen ruhig an der Kasse an. Bild: Natalie Reiser

Ruhe statt Drängelei: Bei den Tafeln im Kreis Konstanz bleiben Essener Verhältnisse aus

Südkurier von Natalie Reiser

In den Tafeln in Singen, Konstanz, Radolfzell, Stockach und Engen ist zwar viel los; unangenehmes Gedränge und Streit aber gibt es nicht. Der Ausschluss von Ausländern ist hier kein Thema. In Singen habe die Hälfte der Bevölkerung Migrationshintergrund – "wie soll man da anfangen zu sagen, wer ein Ausländer ist?", sagt der Chef des Tafelvereins.

Noch bevor der Tafelladen in Singen am Dienstagnachmittag öffnet, füllt sich der Gastraum, in dem der Mittagstisch angeboten wird, mit Besuchern. Viele Frauen tragen Kopftücher. Gespräche in verschiedenen Sprachen entwickeln sich. Auch deutsche Stimmen sind darunter. Tafelläden sind ins Interesse der Öffentlichkeit gerückt, seitdem die Essener Tafel beschlossen hat, Ausländer von der Warenausgabe auszuschließen.

Gestern befasste sich auf Initiative der AfD der Stuttgarter Landtag mit dem Thema. Aus Essen war berichtet worden, Ausländer hätten im dortigen Tafelladen deutsche Mitbürger bedrängt. Vor allem ältere Menschen würden sich nicht mehr willkommen fühlen. Wie ist die Situation im Kreis Konstanz? Wie gehen Tafelläden hier mit Ausländern um?

Keine Probleme in der Region

Udo Engelhardt ist Vorsitzender des Singener Tafelvereins, in dem die fünf Tafeln des Kreises Konstanz in Radolfzell, Singen, Konstanz, Engen und Stockach zusammengeschlossen sind. Er gibt Entwarnung: "Bei uns brennt überhaupt nichts." Keine der fünf Tafeln berichte von überhand nehmenden Aggressionen oder einem gespannten Verhältnis zwischen deutschen und ausländischen Besuchern.

Seit der Ankunft vieler Flüchtlinge Anfang 2016 kämen wesentlich mehr Ausländer in die Tafelläden. 60 bis 75 Prozent der Kunden seien Flüchtlinge. "Das war vor allem im ersten Halbjahr 2016 eine große Herausforderung für uns", sagt Engelhardt.

Berechtigungskarten sorgen für Ordnung

Über den Bundesfreiwilligendienst gab es arabisch sprechende Übersetzer, die die Besonderheiten eines Tafelladens erklärten. Die Besucher erhalten nach dem Zufallsprinzip Einlass. Es gibt Berechtigungskarten oder Nummern. Das Los entscheidet, wer den Laden zuerst betreten darf.

So entstehe kein Gedränge, und niemand könne sich beschweren, dass er nie die größte Auswahl bekomme, sagt der Tafelvorsitzende. Kunden dürfen oft nur ein Produkt einer Sorte mitnehmen, beispielsweise einmal Gemüse. Auch bei der Konstanzer Tafel setzen die Mitarbeiter auf Einlass per Los, zudem legen sie mittags weitere Waren nach. Es ist viel los, Rangeleien gibt es aber nicht.

Susanne Hiltner (l.) und Elzsebet Magyar verkaufen im Tafelladen Radolfzell. Ausländer und Deutsche stehen ruhig an der Kasse an. | Bild: Natalie Reiser

Vermehrt ältere Leute bei den Tafeln

Dass immer mal wieder andere Besuchergruppen in die Tafeln kommen, sei nichts Neues, sagt Engelhardt. Zur Zeit des Jugoslawienkrieges seien es viele Menschen aus den Balkanländern gewesen, später viele russische Einwohner. Doch die Frage, ob Ausländer weniger Berechtigung hätten, Tafeln in Anspruch zu nehmen als Deutsche, stelle sich im Landkreis nicht. In Singen hätten 50 Prozent der Bevölkerung einen Migrationshintergrund, bei Kindern liege der Anteil noch höher. "Wie soll man da anfangen zu sagen, wer ein Ausländer ist?", fragt Engelhardt schulterzuckend.

Seit ein paar Jahren kämen mehr ältere Personen zur Tafel, sagt Engelhardt. Für ihn ein Hinweis darauf, dass Altersarmut zunimmt. Dass ältere Menschen sich von Ausländern bedroht fühlten, habe man in den hiesigen Tafeln aber nicht beobachtet. Sicher gebe es manchmal auch unangenehme Zwischenfälle. Abschätzige und rassistische Äußerungen habe ein kleiner Kreis deutscher Mitbürger gemacht. "In solchen Situationen reagieren wir sofort", sagt Engelhardt.

Positiver Eindruck von Flüchtlingen

Auch Horst Langer, Mitarbeiter im Tafelladen Radolfzell, meint: "Wir können nicht wirklich verstehen, was in Essen passiert ist. Wenn wir solche Probleme hätten, würden wir sofort die Polizei einschalten und die Personen vom Tafelbesuch ausschließen." Insgesamt überwiege von Flüchtlingen der positive Eindruck, dsagt Engelhardt. Einige würden helfen, Waren einzuräumen, Kartons zu entsorgen. Und eine große Erleichterung sei es, dass mittlerweile viele von ihnen so viel Deutsch gelernt hätten, dass ein Austausch ohne Dolmetscher möglich sei.

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